Andreas Weissen

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Anfangs der sechziger Jahre sammelte Dr. Josef Guntern in allen Dörfern des Oberwallis Erzählungen, Sagen und Legenden. 2344 „Nummern“ kamen so zusammen, dokumentiert im Buch „Volkserzählungen aus dem Oberwallis“ und zeugen von der reichen Erzähltradition im deutschsprachigen Wallis. 

Bozugschichte, Zellute, Lugine

Der Mensch ist ein „homo narrans“: Das Erzählen und Hören von Erlebnissen und Geschichten gehört zu den grundlegendsten Bedürfnissen.

Bevor das „Elektrische“ und mit ihm Radio und Fernsehen die Wohnstuben eroberten, war der „Abusitz“ im Oberwallis der beliebteste Zeitvertreib. Am Feierabend traf man sich in geselliger Runde. Im Verlaufe des Abends wurden dann oft„Bozugschichte“ (Geistergeschichten) erzählt, die an manchen Orten im Oberwallis auch „Zellute“ (Erzählungen) oder „Lugine“ (Lügen) heissen.

Die Sagen berichten von sonderbaren Ereignissen, die für wahr gehalten werden (können). Dabei wird die Ebene der alltäglichen Erfahrungen verlassen. Dadurch kann Angst und Lust zugleich erzeugt werden. Und da die Sagen meistens konkrete Menschen und Schauplätze nennen, wird die Angstlust noch grösser.

Seit jeher wollten ErzählerInnen in erster Linie unterhalten, die Zuhörerschaft aus dem Alltag entführen, in ein Bad unterschiedlichster Gefühle stürzen. Viele Walliser Sagen dienen zusätzlich als „Volkskatechismus“, als Vehikel, um strenge ethische Vorstellungen zu transportieren: Unrecht muss gesühnt werden. Schliesslich können Sagen aber auch durchaus emanzipatorisch wirken, zeigen sie doch, wie unheimliche Mächten in Schach gehalten oder gar der Teufel überlistet werden kann. Mit der „richtigen Redewendung“ kontrolliert der Lebende die Begegnung mit dem Toten: „Ds erscht und ds letscht Wort isch miis.“

Die Wiederentdeckung der Walliser Sage

Vor fünfzig Jahren war die Erzähltradition im Oberwallis noch lebendig, der Abusitz zumindest auf den Alpen noch verbreitet und Karl Biffiger zelebrierte seine „Bozugschichten“ am Radio.

Das Wallis steckte mitten im abrupten Wandel von der traditionellen Agrar- zur modernen Dienstleistungsgesellschaft. Innert weniger Jahrzehnte verschwand der „Abusitz“, verstummten die Erzählerinnen und Erzähler. Nur mehr ganz selten im kleinen Kreis tauchten die „alten Geschichten“ gelegentlich wieder auf.

In den neunziger Jahren wurden die Walliser Sagen „neu“ entdeckt. Seither erleben Erzählabende am Lagerfeuer, Inszenierungen in der Landschaft und multi-mediale Installationen einen riesigen Zuspruch, gerade von der einheimischen Bevölkerung.

Woher stammt diese plötzliche Begeisterung für die Walliser Sagen? Ist es die Suche nach den Wurzeln, nach ein „bisschen Heimat“ in einer globalisierten, amerikanisierten Welt? Oder die Faszination des Irrealen und Surrealen? Nostalgische Sehnsucht? Esoterische Flucht? Freude am „Wallisertitsch“? …?

Lassen wir das Spekulieren, geniessen Sie die Zellute – mit dem Hörbuch oder einem Sagenabend mit Andreas Weissen.